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Das Verständnis der Wiedergeburtslehre im Hinduismus – Ein Vergleich zweier Epochen

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In diesem Sommersemester habe ich das Seminar „Postmortalitätsvorstellungen“ an der Universität Bremen besucht. Wir haben uns mit unterschiedlichen religiösen Traditionen auseinandergesetzt. Ich möchte mich hier genauer mit dem Hinduismus beschäftigen. Die Wiedergeburts- und Karma-Lehren gehören wohl zu den bekanntesten Lehren in der hinduistischen Tradition.

Der Mensch hat eine Seele, die immer wieder geboren wird. Er kann als Mensch, als Tier, als Pflanze und als göttliche oder dämonische Existenz neu geboren werden. So könnte man die Wiedergeburtslehre erklären. Wie und warum die Wiedergeburten zustande kommen, erklärt das Karma (Taten). Jede Tat hat Folgen, die sich auf das nächste Leben auswirken und die Ausgangsposition vorgeben. Zudem gibt es verschiedene Erlösungswege, die das Entkommen aus dem Kreislauf der Wiedergeburten lehren. (Buß 2009, S.137)

Doch hat man schon immer unter dem Begriff Wiedergeburt die oben genannte Erklärung verstanden? Lässt sich eine Entwicklung des Begriffs erkennen?

Um mich mit diesen Fragen beschäftigen zu können, habe ich zwei religiöse Überlieferungen aus verschiedenen Epochen gewählt, die ich in Hinblick auf die Fragestellungen genauer untersuchen und vergleichen werde.

Die Upanisaden, die sogenannten Geheimlehren des alten Indien, sind eine Sammlung philosophischer Schriften und Bestandteil des Veda. Sie wurden über längere Zeiträume zu größeren Einheiten zusammengestellt. Zu den frühen Upanisaden, die etwa vom 7. bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. entstanden, gehören die Brhadaranyaka- und die Chandogya-Upanishad, mit denen ich mich im Weiteren beschäftigen werde. (Buß 2009, S. 284; Michaels 1998, S. 70)

Die zweite Überlieferung ist die Bhagavad-Gita, dieser Text ist Teil des großen Epos Mahabharata. Sie wurde im 2. Jahrhundert v. Chr. abgeschlossen. Für viele Hindus gehört die Bhagavad-Gita zu den heiligsten Texten. (Buß 2009, S. 293)

Upanisaden – Die Erlösung der Seele

In den Upanisaden spielt atman eine große Rolle. Mit dem Wort atman wird das unsterbliche Selbst, die Seele, bezeichnet. Der atman hält sich für die Dauer eines Lebens in einem Körper auf und verlässt ihn beim Tod. (Malinar 2009, S. 48)

Kommt es zur Wiedergeburt, „ergreift sie [die Seele] einen andern Anfang und zieht sich selbst dazu hinüber.“ (Malinar 2009, Reader, S. 30) Wird allerdings eine Erlösung angestrebt, so kehrt  atman nicht mehr zurück. In der Brhadaranyaka-Upanisad steht nun also, dass sich die Seele einen neuen Anfang sucht, von einem bestimmten Anfang ist hier nicht die Rede. Denn in den älteren Upanisaden wird die Lehre von der Wiederverkörperung noch nicht durchgängig an die Qualität des früheren Lebens gebunden. (Malinar 2009, S. 48)

In der Chandogya-Upanisad wird beschrieben, dass das Selbst und der Körper von unterschiedlicher Natur sind. Das Selbst wird darin unterschieden, dass der Körper altert und stirbt, das Selbst aber ist „frei vom Alter, frei vom Tod und frei vom Leiden, ohne Hunger und ohne Durst.“ (Malinar 2009, Reader, S. 24) Es findet also eine Gegenüberstellung von der Vergänglichkeit des Leibes und der Unsterblichkeit der Seele, die mit Glück verbunden ist, statt. Die Erkenntnis der Seele wird immer mehr in den Vordergrund gestellt, weil man dadurch das Leid überwinden kann und eine höhere Glückseligkeit erlangt. (Malinar 2009, S. 48)

Das neue Konzept eines unsterblichen Selbst, das sich im sterblichen Leib befindet und befreit werden muss, verändert das Denken der Menschen über den Tod und die Unsterblichkeit. Das höchste Ziel ist nun nicht mehr die Wiederverkörperung in eine Himmelswelt, sondern die moksa, die entgültige Erlösung des Selbst aus der leidvollen Welt. (Malinar 2009, S. 48, 49)

Wie erkennt man den atman und erlangt eine entgültige Befreiung?

In den älteren Upanisaden, wie beispielsweise in der Chandogya-Upanisad, gehen die Suchenden zu einem Lehrer (guru). Der Lehrer erklärt ihnen wie man das Selbst findet, dabei spielt die Dauer der Belehrung für die Erlangung der gewünschten Erkenntnis eine wichtige Rolle. Oft werden auch eine asketische Lebensführung sowie Übungen während der Lehrzeit vorausgesetzt. (Malinar 2009, S. 49)

In der Chandogya-Upanisad (Kapitel 8.7-12) begeben sich von den Göttern Indra und von den Dämonen Virocana zu einem Lehrer, um nach ihrem Selbst zu forschen, durch dessen Erforschung man alle Welten erlangt und alle Wünsche. Als Schüler werden sie von Prajapati viele Jahre belehrt. 101 Jahre dauert Indras Lehrzeit. Im letzten Abschnitt erklärt der Lehrer Indra nun im letzten Schritt das Selbst:

“O Maghavan [Indra], sterblich, fürwahr, ist dieser Körper, vom Tode besessen; er ist der Wohnplatz für jenes unsterbliche, körperlose Selbst. Besessen wird der Bekörperte von Lust und Schmerz; denn weil er bekörpert ist, ist keine Abwehr möglich der Lust und des Schmerzes. Den Körperlosen aber berühren Lust und Schmerz nicht.- 2. Körperlos ist der Wind; die Wolke, der Blitz, der Donners sind körperlos. Sowie nun diese aus dem Weltraume [in welchem sie, wie die Seele im Leibe, gebunden sind] sich erheben, eingehen in das höchste Licht und dadurch hervortreten in ihrer eigenen Gestalt, 3. so auch erhebt sich diese Vollberuhigung [d.h. die Seele in tiefen Schlafe aus diesem Leibe, gehet ein in das höchste Licht und tritt dadurch hervor in eigener Gestalt: das ist der höchste Geist, - der dort umherwandelt, indem er scherzt und spielt und sich ergötzt [...] und nicht zurückdenkt an dieses Anhängsel von Leib, an welches der Prana [Atem] angespannt ist wie ein Zugtier an den Karren.“ (Malinar 2009, Reader, S. 28-29)

Neben der Belehrung durch einen Lehrer werden in den mittleren und jüngeren Upanisaden weitere Erkenntniswege aufgeführt: die Yoga- und Samkhya-Lehren. (Malinar 2009, S. 49)

Yoga sind asketische Übungen (siehe Askese) und Körpertechniken, die zur Beherrschung des eigenen Körpers und Geistes führen. Bei völliger Selbstbeherrschung erlangt der Yogi die Erkenntnis und Befreiung des Selbst. Das Samkhya lehrt den philosophischen Hintergrund für die Yoga-Übungen. Es werden 25 Prinzipien aufgezählt, in die die Erscheinungswelt nach der Samkhya-Philosphie aufgegliedert ist. Das Samkhya trennt das geistige Selbst von der Urmaterie. Solange der Mensch beispielsweise seinen Körper für sein Selbst hält, solange ist er im Kreislauf der Wiedergeburten gefangen. Erkennt er aber die Trennung vom unabhängigen Selbst und der Urmaterie, wird die Seele befreit. (Buß 2009, S. 68, 218)

Im folgenden Video praktiziert ein Yogi seine Übungen. Schauen Sie es sich einfach an! Glauben Sie, Sie schaffen das auch?

Die Bhagavad-Gita

In der Bhagavad-Gita geht es um ein Gespräch zwischen dem Kriegshelden Arjuna und seinem Wagenlenker Krishna. Bevor der Kampf beginnt, kommen Arjuna Zweifel am Sinn des Krieges, denn in den gegnerischen Reihen stehen seine Freunde und Verwandte. Arjuna will ein Leben als Bettelasket führen, er gibt seine soziale Pflicht auf und befreit sich von der Schuld, die er in der bevorstehenden Schlacht verursachen wird. Krishna, der sich nach und nach als höchster Gott zu erkennen gibt, belehrt ihn über seine Kriegerpflicht. Arjuna wird dazu aufgefordert an die Wiederherstellung der Weltordnung zu denken und nicht seine persönlichen Wünsche in den Vordergrund zu stellen. Es entsteht ein Konflikt zwischen Erlösungswunsch und sozialer Verpflichtung. Krishna lehrt ihm drei Wege zur Lösung des Konflikts. (Buß 2009, S.293; Malinar 2009, S. 56)

Wie in der Chandogya-Upanisad nimmt auf hier Arjuna die Rolle des Schülers ein und lässt sich von Krishna belehren, da er nicht weiß, welches das richtige Verhalten ist.

(7) Vom Makel der Schwäche befallen bin ich nichtmehr ich selbst, und mein Verstand ist in Bezug auf das Gesetz völlig verwirrt. So frage ich dich, was wohl besser ist. Sprich zu mir darüber in aller Klarheit. Ich bin dein Schüler. Lehre mich, der dich darum ersucht! (Malinar 2009, Reader, S. 37)

Krishna berichtet über das Selbst, dass wiederverkörpert werden kann. Es ist unsterblich und wandert von Leben zu Leben, so wie es auch schon in den Upanisaden gelehrt wird.

(22) So wie ein Mensch, wenn er die alten Kleider abgelegt hat, andere, neue nimmt, so verbindet sich der Verkörperte, wenn er die alten Körper verlassen hat, mit anderen, neuen Körpern. (Malinar 2009, Reader, S. 39)

Deshalb wird Arjuna seine Freunde und Verwandten auch nicht wirklich töten, sondern nur ihre Verkörperungen. Diese müssen später ohnehin abgelegt werden. (Garbe 2006, S. 11)

Auch die Vorstellungen des Selbst sind sehr ähnlich. In der Bhagavad-Gita wird es als unsichtbar, undenkbar und unveränderbar beschrieben, das ähnelt der oben genannten Wind-Darstellung in der Chandogya-Upanisad. Zudem wird das Selbst als körperlos beschrieben, das keine Lust und keinen Schmerz verspürt. So spricht auch Krishna zu Arjuna:

(38) Wenn dir Glück und Leid gleich geworden sind, Gewinn und Verlust, Sieg und Niederlage, dann rüste dich zum Kampf! Auf diese Weise wirst du keine Schuld auf dich laden! (Malinar 2009, Reader, S. 40)

Entkommen aus dem Kreislauf der Wiedergeburten

Krsna lehrt nun drei verschiedene Erlösungswege.

Der erste Weg ist der Weg des Wissens (jnanamarga). Dabei ist es wichtig den Zusammenhang von Mensch und Kosmos und die Zusammenhänge von Karma und Wiedergeburt zu erkennen. Ein Suchender muss verstehen, dass sein eigenes Verhalten die Wiedergeburten beeinflusst. Wenn er erkennt, wieso sein Karma ihn fesselt, kann er entsprechend handeln. Dieses Wissen erlangt der Mensch mit Hilfe von Meditation. (Buß 2009, S. 146)

Das Handeln (karmamarga) beschreibt nun den zweiten Weg der Erlösung. Diese neue Argumentationsebene, die mit Begriffen aus den Yoga- und Samkhya-Lehren arbeitet, zielt auf eine veränderte Haltung beim Handeln. Die guten und schlechten Taten fesseln den Menschen im Wiedergeburtenkreislauf. Diese Bindung gilt es zu überwinden. Wichtig ist die Tat nach ihrer Absicht zu bemessen. Der Mensch muss sich von egoistischen und zwecksgebundenen Zielen lösen. (Buß 2009, S. 146, 147)

(51) Denn die Weisen, die durch die Urteilskraft gezügelt sind, haben die Frucht, die aus dem Handeln entsteht, aufgegeben und sind von den Fesseln der Geburt vollständig befreit. Sie gelangen an den Ort, der frei von Leiden ist. (Malinar 2009, Reader, S. 42)

Nach Krishna soll Arjuna in den Krieg ziehen. Das seine Bestimmung als Krieger, die Tötung der Freunde und Verwandten ist somit kein falsches Verhalten. Nach Krishna handelt es sich um einen gerechten Krieg, den Arjuna ohne Absichten auszuführen hat. Er hat die Aufgabe die Ordnung wiederherzustellen. Arjuna handelt im Sinne der höheren Ordnung und verfolgt keine persönlichen Wünsche. (Buß 2009, S. 148)

In den früheren Upanisaden hat die Wiederverkörperung noch nichts mit der Qualität des früheren Lebens zu tun. Eine größere Rolle spielt das Karma in Hinsicht auf die Wiedergeburten in der Bhagavad-Gita.

Der letzte Weg setzt das in den Upanisaden formulierte Streben nach Befreiung von der Welt und damit vom Kreislauf von Tod und Geburt fort und ergänzt es mit der Hingabe eines höchsten Gottes (bhaktimarga). Das oben genannte Konzept von der Befreiung des unsterblichen Selbst erhält in der Bhagavad-Gita eine erweiterte Zielsetzung: Ein einziger, höchster Gott wird zum ‘höchsten Selbst’ und stellt die Erlösung dar. (Malinar 2009, S. 56, 57)

Krishna offenbart sich Arjuna als höchster Gott und mächtiger Yogin. Der Mensch gibt sich dem Willen seines Gott bedingungslos hin, sodass er sich nicht mehr in seine eigenen Taten verstricken kann. Auch der Gott erwidert diese Liebe zum Menschen, dabei spielen Rituale oder Priester in dieser gegenseitigen Beziehung keine Rolle. Die Macht des Gottes kann die Karma-Wirksamkeit auflösen und somit eine Erlösung möglich machen. (Buß 2009, S. 148)

(9) Wer meine Geburt und mein göttliches Werk solchermaßen in ihrer Wahrheit erkennt, der erlangt nach dem Verlassen des Körpers keine weitere Geburt: Er kommt zu mir, o Arjuna. (Malinar 2009, Reader, S. 47)

Auch im dritten Erlösungsweg spielen die Yoga-Praktiken eine große Rolle. Dieser Abschnitt macht die Hingabe noch einmal deutlich:

(14) Sein Selbst ist zur Ruhe gekommen, die Furcht ist vergangen, und er bleibt fest im Gelübde der Enthaltsamkeit. Wenn er sein Denkvermögen völlig beherrscht, soll der Angeschirrte [Yogi] dasitzen, indem er das Bewusstsein auf mich richtet, weil er mich zum Höchsten hat. (Malinar 2009, Reader, S. 49)

Fazit

Schon in den frühen Upanisaden wird der Tod als leidvoll angesehen und es werden erste Wege beschrieben, die aus dem Kreislauf der Wiedergeburten führen. Die Menschen wollen mit Hilfe eines Lehrers das Selbst erforschen und die Erlösung, die die einzige Glückseligkeit darstellt, anstreben. Mit Hilfe von Yoga-Übungen, asketischer Lebensführung und der Philosophie der Samkhya erlangen die Menschen die Erkenntnis und Befreiung des Selbst.

Diese Möglichkeiten der Erlösung sind Grundlagen und werden in der Bhagavad-Gita zu den drei Erlösungswegen weiterentwickelt.

In der Bhagavad-Gita wird dem Erlösungssuchenden der Weg des Wissens, des Handels und der Hingabe gelehrt, bei denen auch die Yoga-Übungen und die Samkhya-Philosophie eine bedeutsame Rolle spielen. Der Zielpunkt, dass nun ein einziger, höchster Gott zum ‘höchsten Selbst’ ist, ist ein ganz neuer Gedankengang, der in den Upanisaden noch nicht zu finden ist.

Der Begriff der Seelenwanderung ist sowohl in den Upanisaden als auch in der Bhagavad-Gita bekannt. In Beiden wird das unsterbliche Selbst ausführlich beschrieben und deutlich vom Körper getrennt gesehen. Es wandert von Leben zu Leben.

Während in den frühen Upanisaden die Wiederverkörperung noch nicht viel mit der früheren Lebensführung zu tun hat, spielt das Karma in der Bhagavad-Gita besonders für die Erlösungswege eine bedeutsame Rolle.

Die beiden Überlieferungen sind sich in einigen Punkten sehr ähnlich. Die unterschiedlichen Auffassungen der Erlösung sehe ich nicht als Unterschiede an, sondern als eine Weiterentwicklung.

Quellen

  • Buß, Johanna: Hinduismus. Für Dummies, Weinheim 2009.
  • Garbe, Richard: Die Bhagavadgita. Das altindische Gedicht, Wiesbaden 2006.
  • Malinar, Angelika: Hinduismus. Studium Religionen, Göttingen 2009.
  • Malinar, Angelika: Hinduismus Reader. Studium Religionen, Göttingen 2009.
  • Michaels, Axel: Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart, München 1998.

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